Die Debatte um Bildschirmzeit bei Kleinkindern; ist die Studienlage so eindeutig wie behauptet?
Immer wieder wird behauptet, dass digitale Medien und Bildschirmzeit klar schädliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Kleinkindern haben. Doch ist die Lage wirklich so eindeutig? Ein genauer Blick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigt ein weitaus differenzierteres Bild. Während einige Studien negative Effekte wie Schlafprobleme oder Sprachverzögerungen aufzeigen, gibt es ebenso Hinweise darauf, dass die Qualität der Inhalte und die Art der Nutzung entscheidend sind.
Besonders aktuell die Metastudie:
„Screen on = development off? A systematic scoping review and a developmental psychology perspective on the effects of screen time on early childhood development“ von (Sticca, F., Brauchli, V. & Lannen, P. (2025), die über 150 wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema systematisch analysiert hat. Diese umfassende Analyse liefert differenzierte Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Bildschirmzeit und verschiedenen Entwicklungsbereichen wie Schlaf, Kognition, Sprache und sozial-emotionalen Fähigkeiten. Die Ergebnisse zeigen: Die Auswirkungen sind weder ausschliesslich schädlich noch durchweg positiv – sie hängen vielmehr von vielen Faktoren wie Dauer, Inhalt und Kontext der Bildschirmnutzung ab.
In diesem Beitrag fassen wir die zentralen Erkenntnisse dieser Metastudie zusammen und beleuchten, wie Eltern und Erziehende Bildschirmzeit bewusst gestalten können, um Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen.
1. Schlaf
- Negative Auswirkungen:
- Schlaflatenz (Einschlafzeit): Längere Bildschirmzeiten wurden mit einer Verzögerung des Einschlafens assoziiert, insbesondere durch abendliche Nutzung.
- Gesamtschlafdauer: Studien zeigen eine Verkürzung der Gesamtschlafdauer bei Kindern mit hoher Bildschirmzeit.
- Nachtschlafunterbrechungen: Erhöhte Bildschirmzeit kann zu häufigeren Aufwachphasen während der Nacht führen.
- Mechanismen: Der Einfluss wird auf die Stimulation durch Bildschirmlicht sowie auf die Nutzung von Inhalten zurückgeführt, die die Schlafbereitschaft reduzieren.
2. Physische Gesundheit
- Ergebnisse:
- Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen exzessiver Bildschirmzeit und einem erhöhten Risiko für Adipositas. Bildschirmzeit kann zu reduziertem körperlichen Aktivitätsniveau führen.
- Der Konsum von ungesunden Snacks während der Bildschirmnutzung wurde ebenfalls beobachtet.
- Bewegung und Ernährung:
- Passiver Medienkonsum wird mit einem weniger gesunden Lebensstil in Verbindung gebracht.
- Interaktive Bildschirmaktivitäten könnten jedoch weniger negative Auswirkungen haben, wurden aber weniger erforscht.
3. Kognition
- Generelle KkognitiveEntwicklung:
- Studien zeigen gemischte Ergebnisse:
- Negative Effekte bei übermässiger Bildschirmzeit auf Aufmerksamkeitsspanne und Problemlösungsfähigkeiten.
- Positive Effekte bei qualitativ hochwertigem, interaktivem und altersgerechtem Bildschirminhalt.
- Studien zeigen gemischte Ergebnisse:
- Exekutive Funktionen:
- Längere Bildschirmzeit kann sich negativ auf Planungs-, Gedächtnis- und Organisationsfähigkeiten auswirken.
- Studien fanden jedoch auch, dass gezielte Bildungsinhalte diese Funktionen fördern können.
4. Sprache
- Rezeptive und Expressive Sprache:
- Höhere Bildschirmzeiten, insbesondere passiver Medienkonsum, wurden mit einer Verzögerung in der Sprachentwicklung verbunden.
- Bildungsprogramme und interaktive Inhalte zeigten jedoch positive Effekte.
- Vokabularentwicklung:
- Kleinkinder, die qualitativ hochwertige Programme (z. B. altersgerechte Bildungsvideos) sehen, können eine bessere Vokabelentwicklung zeigen.
- Interaktive Nutzung:
- Wenn Eltern aktiv mit den Kindern während der Bildschirmzeit interagieren, sind die negativen Auswirkungen geringer.
5. Motorische Fähigkeiten
- Grobe und feine Motorik:
- Es gibt keine signifikanten Hinweise darauf, dass Bildschirmzeit direkt die motorische Entwicklung verzögert, solange Kinder ausreichend Zeit für physische Aktivitäten haben.
- Kritische Faktoren:
- Kinder mit längeren Sitzzeiten vor dem Bildschirm könnten jedoch weniger Zeit für motorisch anspruchsvolle Aktivitäten haben.
6. Sozial-emotionale Fähigkeiten
- Internalisierende Probleme:
- Längere Bildschirmzeit wurde mit einem erhöhten Risiko für Angst und Depression bei Kleinkindern assoziiert.
- Externalisierende Probleme:
- Kinder mit hohem Medienkonsum zeigten häufiger Verhaltensauffälligkeiten, wie Aggressivität oder Impulsivität.
- Soziale Kompetenzen:
- Exzessiver Medienkonsum wurde mit einer geringeren Entwicklung von sozialen Fähigkeiten und Empathie in Verbindung gebracht.
7. Gesamte Entwicklung
- Die Gesamtauswirkungen von Bildschirmzeit hängen stark von Qualität, Dauer und Kontext ab:
- Passive Mediennutzung (z. B. Fernsehen) hat tendenziell negative Effekte.
- Interaktive und pädagogische Inhalte können positive Effekte haben, insbesondere wenn Eltern mit den Kindern interagieren.
Fazit und Empfehlungen
Die Ergebnisse der Metastudie zeigen, dass die Auswirkungen von Bildschirmzeit weder ausschliesslichschädlich noch durchweg positiv sind. Vielmehr hängt die Wirkung von einer Vielzahl von Faktoren ab, darunter die Art der Inhalte, die Dauer der Nutzung und der soziale Kontext. Exzessive und unangeleitete Bildschirmzeit kann Schlafprobleme, Sprachverzögerungen und Einschränkungen in der sozialen Interaktion fördern. Gleichzeitig bieten interaktive, pädagogische Inhalte – besonders in Kombination mit elterlicher Begleitung – Chancen für Lernen und Entwicklung.
Für Eltern und Erziehende ergeben sich daraus klare Empfehlungen:
- Qualität vor Quantität: Achten Sie darauf, dass die Inhalte altersgerecht, interaktiv und pädagogisch wertvoll sind.
- Zeitliche Begrenzung: Reduzieren Sie die Bildschirmzeit auf ein moderates Mass(idealerweise weniger als eine Stunde pro Tag bei Kleinkindern).
- Begleitende Interaktion: Nutzen Sie Bildschirmmedien gemeinsam mit Ihrem Kind, um Inhalte zu erklären und die Mediennutzung aktiv zu gestalten.
- Alternativen fördern: Stellen Sie sicher, dass Kinder ausreichend Zeit für freie Bewegung, soziale Interaktion und kreatives Spielen haben.
Die Digitalisierung ist ein fester Bestandteil unserer Lebenswelt, und ein bewusster Umgang mit Bildschirmmedien kann dazu beitragen, die Risiken zu minimieren und die Potenziale optimal zu nutzen. Eltern, Erziehende und Forschende sind ggleichermassengefragt, um einen gesunden und positiven Umgang mit digitalen Medien zu fördern.
Sticca, F., Brauchli, V. & Lannen, P. (2025). Screen on = development off? A systematic scoping review and a developmental psychology perspective on the effects of screen time on early childhood development. Frontiers in Developmental Psychology. [Online]. 2. p.p. 1439040. Available from: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fdpys.2024.1439040/full. [Accessed: 8 January 2025].